Seit zehn Jahren habe ich eine Praxis in diesen wunderschönen Räumen mitten in der Heidelberger Innenstadt.
Damals hatte ich mich mit einer Kollegin zusammen getan, wir haben eine so genannte „Praxengemeinschaft“ gegründet. Nun, zum August diesen Jahres, hat sich diese Kollegin überraschend entschieden, weiter zu ziehen, sich zu verändern – was natürlich auch für mich Veränderung bedeutet. Eine Veränderung, an die ich von mir aus nicht gedacht hätte, die aber nun verblüffend gut passt.
Mir war sofort klar, dass ich die Praxis durch interessante, nette Kollegen weiter entwickeln will und nun möglicherweise manches auf die Beine stellen kann, was in der vorherigen Praxisform nicht möglich gewesen war: Ich freute und freue mich unbändig auf diese neue Entwicklung. Natürlich ist der Umbruch auch durch andere Gefühle begleitet: Etwas Traurigkeit über das Ende der vorherigen, über weite Strecken sehr angenehme Praxengemeinschaft. Auch ein bisschen Angst: Werde ich alles schaffen, was ich mir vorgenommen habe? Werde ich die richtigen Entscheidungen treffen? Neugier: Was da nur alles Neues passieren mag?! Alles in Allem überwiegt die Freude aber bei Weitem: Es geht weiter und ich bin zuversichtlich, dass es gut weiter geht.
Würden Sie in einer vergleichbaren Situation ähnlich empfinden? Bekannte und Freunde haben mir verschiedenste Rückmeldungen gegeben:
„Das war nicht fair von der Kollegin, ich wäre so wütend auf sie!“
„Ob du das auch alles so hinkriegst, wie du dir das vorstellst?“
„Sorgen musst du dir ganz bestimmt keine machen, das wird sicher super.“
„Also ich bin froh, dass ich angestellt bin und solche Entscheidungen nicht treffen muss.“
Ich finde es immer wieder interessant und spannend, wie unterschiedlich Menschen die gleiche Situation einschätzen und beurteilen. Und die innere (uns meist nicht wirklich bewusste) Beurteilung einer Situation führt letztendlich dazu, wie es uns damit emotional geht und auch, welche Konsequenzen wir daraus ziehen, wie wir uns verhalten – und wie das wiederum auf uns rückwirkt.
Der Gedanke: „Das werde ich nicht schaffen“ führt z.B. zur Emotion Angst und möglicherweise zu einer Lähmung auf der Verhaltensebene – und das könnte dazu führen, „es“ (was auch immer…) tatsächlich nicht zu schaffen: Die oft benannte „self fulfilling prophecy“ hat sich dann einmal wieder bewahrheitet.
Der Gedanke: „Super, das eröffnet ganz neue Möglichkeiten“ führt hingegen eher zur Emotion „Vorfreude/Freude“ und auf Verhaltenebene dazu, die Ärmel hochzukrempeln und loszulegen – und mit einiger Wahrscheinlichkeit dazu, Erfolg damit zu haben.
Das ist natürlich etwas vereinfacht dargestellt – aber im Grunde funktionieren wir tatsächlich so. Was im übrigen auch schon die alten Griechen wussten:
Nicht die Dinge selbst machen und glücklich oder unglücklich, sondern unsere Sicht der Dinge.
Dieser Satz des griechischen Philospohen Epiktet (ca. 100 n.Chr) bildet die Grundlage einer gesamten Therapierichtung, der so genannten „RET“ (Rational Emotiven Therapie, entwickelt von Albert Ellis, einem amerikanischen Psychologen). Im Rahmen der RET lernt man, sich die „inneren Monologe“ (also z.B. „Ich bin gespannt auf die bevorstehende Entwicklung“), die uns ständig begleiten, bewusst zu machen und im eigenen Sinne zu verändern – ein sehr machtvolles Instrument der Selbststeuerung.
Denn alles, was wir tun oder sogar denken ist immer von „inneren Monologen“ begleitet, sie kommentieren sozusagen alles, was wir tun. Sie sind nicht wirklich unbewusst, denn wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, können wir sie meistens ganz einfach heraus finden. Trotzdem kennen wir sie oft nicht, sie laufen „automatisiert“ im Hintergrund, wie z.B. ein Anti-Viren-Programm auf dem PC.
Was wir meist ganz bewusst wahrnehmen, sind dann allerdings die daraus resultierenden Gefühle, z.B. Freude oder Angst und natürlich kennen wir auch das entsprechende Verhalten.
Unsere Interpretation dessen, was uns widerfährt, ist dann oft verkürzt und im Grunde falsch: Ein Ereignis x (meine Kollegin zieht weiter) verursacht mein Gefühl y (Freude, Angst etc.) und das bewirkt mein Verhalten (z.B. die wunderschönen, aber nun zu großen Räume aufzugeben vs. neue Kollegen zu suchen und mit ihnen neue Konzepte ausprobieren). Korrekt wäre es zu sagen:
Das Ereignis x (Kollegin zieht weiter) verursacht
einen Gedanken (= super, ganz neue Entwicklungen werden möglich) und der verursacht
ein Gefühl (= Vorfreude) und das führt zu entsprechendem Verhalten (neue Kollegen suchen).
Wäre beim gleichen Ereignis der Gedanke anders, würde auch meine Reaktion anders lauten. z.B.
Gedanke: „Hilfe, wie soll ich das alleine schaffen?“
Gefühl: Angst
Verhalten: Lähmung, Kündigung der Räumlichkeiten
Oder:
Gedanke: „Wie kann sie das nur tun, das ist unkollegial!“
Gefühl: Wut
Verhalten: Womöglich: Die Energie mit endlosen Diskussionen über ihr Verhalten verschwenden
Vielleicht erkennen Sie in diesem kurzen Beispiel schon, wie viel Macht wir über uns haben, wenn wir uns auf diese Art selbst analysieren können. Dann kann es gelingen, einen Gedanken zu finden bzw. einen inneren Monolog zu führen, der uns dahin bringt, wo wir hin möchten. Wichtig ist bei einer solchen Arbeit, dass man sich nichts vormacht und sich nicht anlügt. Es nützt nichts, wie das Kind im Walde zu pfeifen und monoton zu sagen „ich hab‘ keine Angst, ich hab‘ keine Angst“, wenn es so eben nicht stimmt. Die Kunst ist, neue Interpretationen für die Ereignisse der Welt zu finden, die für uns passen und stimmen.
Denn wenn wir wirklich verstehen, dass es nicht äußere Ereignisse sind, die unsere Gefühle und unser Verhalten auslösen, sondern unsere Interpretation der Ereignisse, können wir an uns arbeiten, statt über die Außenwelt zu lamentieren – und damit verändert sich unglaublich viel.
Denn es ist nicht die Kollegin/der Chef, der uns wütend macht. Sondern wir entwickeln Wut, weil wir ihr/sein Verhalten auf eine bestimmte, „Wut erzeugende“ Art interpretieren.
Nicht die drohende Arbeitslosigkeit macht Angst, sondern das, was wir uns darunter vorstellen.
Natürlich soll und muss man nicht jedes Gefühl weg interpretieren, denn Gefühle – gerade starke Gefühle – sind oft wichtig, um ins Handeln zu kommen (die Angst vor Arbeitslosigkeit führt z.B. dazu, Bewerbungen zu schreiben und damit zu einem neuen Job). Es ist alles eine Frage des Maßes, aber auch der Intention. Denn manchmal führen starke gefühlsmäßige Reaktionen eben nicht zu einem gewünschten Ergebnis, sondern zu Lähmung oder einem anderen irrationalem Verhalten.
Die „Rational Emotive Therapie“ bietet wunderbare Instrumente, um heraus zu finden, welche Gedanken hinter bestimmten Emotionen oder auch hinter Verhaltensweisen stecken. Man versteht damit sozusagen, wie man tickt. Und dann ist es nicht mehr so schwer, Alternativen für sich zu finden und neue, sinnvollere Verhaltenweisen (für das eigene Ziel) zu entwickeln. Und die damit einhergehenden Gefühle ändern sich quasi automatisch mit.
Die RET wurde in den 70er Jahren entwickelt, mehrfach überarbeitet und inzwischen gründlich wissenschaftlich untersucht. Seither gilt sie als nachgewiesenermaßen gute Therapieform, die im Rahmen einer verhaltenstherapeutischen Behandlung auch von den Krankenkassen anerkannt ist*. Ich habe vor vielen Jahren, zu Beginn meiner psychotherapeutischen Tätigkeit eine 2jährig Ausbildung in RET (am DIREKT in Würzburg) durchlaufen und die Beschäftigung damit hat mein Leben nachhaltig geprägt- denn RET ist nicht nur für Menschen hilfreich, die sich in Psychotherapie befinden, sondern kann jedem/jeder helfen, der oder die sich weiter entwickeln und ein paar Probleme lösen möchte. Daher nutze ich die entsprechenden Methoden regelmäßig in meiner Arbeit als Psychotherapeutin und Coach, aber natürlich auch für mich selbst.
Und jetzt freue ich mich erst einmal auf meine erste Arbeitswoche nach den Sommerferien in der neuen alten Praxis.
* inzwischen gibt es mehrere Therapieschulen, die sich darauf spezialisiert haben, die inneren Monologe offen zu legen und zu verändern, z.B. die Kognitive Therapie nach Aaron Beck. Diese Therapien unterscheiden sich in Details, sind aber nachgewiesenermaßen mit die erfolgreichsten Therapien, die derzeit zur Verfügung stehen.
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...
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