Sind wir nicht alle ein bisschen gaga?

Manchmal sagen wir Dinge wie: „Der ist echt narzisstisch“.
Oder: „wie gestört ist das denn!“
Oder manchmal auch: „Das ist voll Borderline!“

Davon abgesehen, dass es sich dabei meistens nicht um korrekte Einordnungen handelt, stellt sich die Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, von einer „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“, einer „Borderline Persönlichkeitsstörung“ (so heissen Narzissmus und Borderline in der korrekten Form) oder einer anderen Persönlichkeitsstörung zu sprechen? Aber haben wir nicht alle unsere Macken? Und wofür soll es gut sein, uns oder andere deshalb in Schubladen zu stecken?

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Wann ist eine Persönlichkeit „gestört“?

Bei einer (echten) Persönlichkeitsstörung handelt es sich um ein inneres Muster, das meistens als Schutzmechanismus aufgebaut wurde. Und zwar oft sehr früh im Leben. Man kann es sich wie eine Ritterrüstung vorstellen. Aber dummerweise ist diese Rüstung  ja nicht nur Schutz, sondern auch eine ganz schöne Belastung. Und sie kann andere wirklich fertig machen. Und das wiederum macht die „Gestörten“ selbst oft einsam und unglücklich. Die „Rüstung“ abzulegen, ist aber wirklich schwierig. Einer der Gründe dafür ist, dass die Betroffenen so verwachsen mit ihren Mechanismen sind, dass sie sie gar nicht als problematisch empfinden. Sondern die Schuld oft bei anderen sehen und eigenes Verhalten rechtfertigen.

Für die Umwelt ist es schwierig, mit einem so „geschützten“ Menschen umzugehen. Oft sind die Betroffenen zudem dünnhäutig, zumindest in bestimmten Bereichen. Und reagieren auf Kritik entsprechend ihrer inneren Muster, sogar dann, wenn es sich um eine wohlmeinende udn gerechtfertigte Kritik handelt. Und die Reaktion kann wirklich massiv, unangemessen und sehr verletzend sein. Je nach „Störungsbild“ geht die Verletzung nach innen (die Betroffenen verletzen sich auf die eine oder andere Art selbst) oder nach außen (andere werden attackiert und oft verletzt). Der aktuellen Situation ist meist nichts davon angemessen.

 

Von einer Persönlichkeitsstörung spricht man, wenn

  • es ein Muster an Erlebens-/Verhaltens- und Reaktionsweisen gibt,
  • das immer wieder auftritt,
  • und das wenig flexibel ist, sich also nicht gut auf eine bestimmte Situation einstellen kann und
  • das seit der Jugend oder dem frühen Erwachsenenalter besteht.

 

Der Begriff „Störung“ (englisch „disorder“)

Dieser Begriff wurde irgendwann eingeführt, um das im psychischen Bereich unglückliche Wort „Krankheit“ abzulösen und eine neutralere Beschreibung zu finden. Im deutschen ist „Störung“ ja aber umgangssprachlich gar nicht neutral. Wir PsychotherapeutInnen benutzen dieses Wort aber tatsächlich nicht im abwertenden Sinn. Trotzdem hoffe ich, dass es bald durch einen passenderen Begriff abgelöst wird.

 

Die Ursachen

Die Ursachen für Persönlichkeitsstörungen wurden lange heftig diskutiert. Auch heute gibt es noch keine von allen akzeptierten Gründe. Ich selbst denke, dass mehrere Dinge zusammen kommen müssen: Vermutlich gibt es genetische oder andere biologische Faktoren. Denn nicht jeder Mensch mit einer schwierigen Kindheit entwickelt eine Persönlichkeitsstörung. Auf der anderen Seite habe ich noch niemanden mit Persönlichkeitsstörung getroffen, der/die nicht früh im Leben schwierige Erfahrungen machen musste.

 

Persönlichkeitsstörungen

  • kommen häufiger in der Großstadt vor als auf dem Land
  • Männer und Frauen sind insgesamt gleich oft betroffen, das gilt allerdings nicht für die speziellen Formen im Einzelnen (z.B. sind dissoziale Persönlichkeitsstörungen häufiger bei Männern, ängstlich-abhängige bei Frauen).

 

Beispiele für Persönlichkeitsstörungen

  • paranoide Persönlichkeitsstörung
  • schizoide Persönlichkeitsstörung
  • dissoziale (soziopathische/antisoziale)Persönlichkeitsstörung
  • emotional instabile (Impulsiver Typ, Borderline-Typus) Persönlichkeitsstörung (s. auch hier)
  • histrionische Persönlichkeitsstörung
  • zwanghafte Persönlichkeitsstörung
  • narzisstischePersönlichkeitsstörung

 

Wann ist eine Persönlichkeit „gesund“?

Es ist völlig normal und gesund, mal auszuflippen. Oder in einer bestimmten Situation egoistisch zu sein. Oder empfindlich. All das sind keine Beispiele für Störungen. Als gesund gilt eine Persönlichkeit dann, wenn sie flexibel ist und (einigermaßen) angemessen auf Situationen reagieren kann. Was immer das im konkreten Fall heissen mag.

Ich würde mir jedenfalls niemals anmaßen, bei jemandem eine Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren, weil er/sie sich einmal nicht gut verhalten hat.

 

Was kann man gegen eine „Persönlichkeitsstörung“ tun?

Die kurze Antwort heisst: Psychotherapie. 

Faktisch ist das aber gar nicht so einfach. Denn typisch für Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung ist die so genannte „Ich-Syntonie“: Die Betroffenen sehen oft nicht, dass sie selbst ein Problem haben. Vielmehr scheinen sie „vom Pech verfolgt“, „von Idioten umgeben“, ständig ungerecht behandelt zu werden.

Und das Verhalten anderer kann natürlich nicht in einer Psychotherapie verändert werden.

Aber wenn sich ein/e Betroffene/r wirklich und ernsthaft auf eine Behandlung einlässt, dann sind die Chancen einer dauerhaften Veränderung wirklich gut. Denn inzwischen gibt es ein gutes Verständnis davon, was hinter den verschiedenen Persönlichkeitsstörungen steckt. Und auch davon, welche Behandlungsstrategien dabei helfen, sie zu überwinden.

Natürlich ist das kein leichter Prozess, er wird vermutlich auch lange dauern. Aber er lohnt sich sehr!

 

Persönlichkeitsstörung

Quellen:

  • Bschor, T. & Grüner, S. (2014). Psychiatrie fast (4.Aufl.). Grünwald: Börm Bruckmeier Verlag GmbH.
  • Sachse R. und Sachse M. (2010): Klärungsorientierte Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen, Hogrefe Verlag
  • Tyrer, P., Mulder, R., Crawford, M., Newton-Howes, G., Simonsen, E., Ndetei, D., Koldobsky, N., Fossati, A., Mbatia, J. & Barrett, B. (2010). Personality disorder: a new global perspective. World Psychiatry, 9(1), 56-60.
  • Zimmermann, J., Brakemeier, E.-L. & Benecke, C. (2015). Alternatives DSM-5-Modell zur Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen. Psychotherapeut, 60(4), 269-279.)

photo: © #190086885 | Urheber: kubko, fotoila.de

Claudia Frey
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...

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