Seit etwa zehn Jahren unterstütze ich meine Freundin und Kollegin, die wunderbare Elsa Timm dabei, Projekte für Kinder und Jugendliche aus der ärmsten Schicht in Südbrasilien aufzubauen.

Der Verein „Hilfe zur Selbsthilfe“ in Walldorf hat es mit Hilfe vieler, vieler Spender geschafft, in dieser Zeit fast 150.000 Euro Spenden an die Projekte zu überweisen. Das Prinzip des Vereins ist es, nur kleine Projekte zu unterstützen, die von einem der Vereinsmitglieder (in dem Fall von mir) persönlich gekannt wird (in dem Fall Elsa). Damit ist garantiert, dass das Geld wirklich ankommt, wo es ankommen soll. Kein Pfennig geht verloren oder versichert in Bürokratie.

Elsa Timm und ihr Team vor Ort haben unglaublich viel aus den Spendengeldern gemacht. Keine hungernden Kinder mehr, die in Fetzen gekleidet sind. Jugendliche, die eine Ausbildungschance bekommen. Familien, die aus dem Teufelskreis „keine Bildung – Drogen – Arbeitslosigkeit – Armut – Hunger – keine Bildung – Drogen etc.“ aussteigen konnten.

Als wir letztes Jahr dort waren, konnte mein Mann gar nicht glauben, was mit diesem Geld alles erreicht worden war. Mit knapp 15.000,- Euro im Jahr hatte sich das Leben von tausenden von Menschen zum Teil dramatisch verbessert.

Dann gab es eine Veränderung
Ende letzten Jahres wurde ein neuer Bürgermeister gewählt. Die engagierte, beliebte und kluge frühere Bürgermeisterin Selmira durfte nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten. Der neue Bürgermeister gehört leider trotz seiner Jugend (er ist kaum über 30) einem alten Schlag an: Offensichtlich ein Mensch, dem Machtdemonstration und vermeintlicher Egoismus wichtiger sind als das Wohl seiner Wähler.

Jedenfalls hat er als erste Amtshandlung sämtliche Projektleiter entlassen und die Projekte auf Eis gelegt. Einfach so. Um zu zeigen, dass er das kann und darf. Und er kann und darf das. Nur Elsa konnte er nicht entlassen, weil sie klugerweise vorgesorgt hatte und seit langem einen Sondervertrag hat, der an die Projekte und nicht an das Bürgermeisteramt geknüpft ist (das war ein komplizierter Prozess und leider nicht für die anderen Mitarbeiter möglich).

Und dann kam – wie das manchmal aus unerklärlichen Gründen so ist – noch ein Unglück dazu: Ende Januar wurde das Städtchen Turuçu, in dem unsere Projekte angesiedelt sind, von einem Zyklon erwischt und versank innerhalb von Minuten in einer Flutwelle.

Glücklicherweise ist hauptsächlich Sachschaden entstanden. Aber das ist schlimm genug. Es wäre gerade jetzt wichtig gewesen, auf funktionierende Projekte zurück greifen zu können. Geht aber leider nicht, denn sie liegen seit Anfang des Jahres brach. Also hungern die Kinder und ihre Familien wieder und haben nur Fetzen auf dem Leib, wie vor zehn Jahren. Es ist so traurig, so schrecklich.

Noch hoffen wir, dass der Bürgermeister sich aufrafft und sich zu einer Zusammenarbeit mit Elsa Timm bereit erklärt. Bisher versucht er vor allem, sie zu bekämpfen und alle ihre Vorschläge zunichte zu machen.

Spenden können derzeit nicht nach Turuçu geschickt werden – obwohl es so dringend nötig wäre. Wer die Geschichte verfolgen will, kann dies auf meinem dies bezüglichen Blog tun.

Was können wir aus dieser traurigen Geschichte lernen?
Der neue Bürgermeister definiert seine Macht offensichtlich darüber, dass er seine Machtbefugnisse ausschöpft – um den Preis, seiner eigenen Gemeinde, seiner eigene Wählerschaft zu schaden.

Mir scheint es so offensichtlich, dass das die Pseudo-Macht der Schwäche ist. Eine OHN-Macht. Vermutlich sogar Macht-Missbrauch. Was er davon hat, ist nicht klar. Vermutlich ein diffuses Gefühl der Überlegenheit über Elsa Timm, die ihm als Projektleiterin so vieler Projekte offensichtlich zu mächtig geworden war.

Ja. Macht kann dazu genutzt werden, aktiv zu gestalten. Oder zu zerstören.

Ich möchte diese traurige Geschichte zumindest dafür nutzen, mich daran zu erinnern: Auch ich habe – wie Sie, wie alle von uns – gewisse Gestaltungsfreiräume in meinem Leben, die man vermutlich als Macht über bestimmte Dinge definieren kann. Lassen Sie uns diese Macht konstruktiv, nicht destruktiv nutzen. Miteinander, nicht gegeneinander.

Was wir dafür brauchen:
– Engagement für das, was wir gut finden
– Großzügigkeit
– Hilfsbereitschaft
– Vertrauen in andere
– …..

Ansonsten bleibt zu hoffen, dass der Bürgermeister von Turuçu zur Vernunft kommt und nicht die Arbeit von zehn Jahren endgültig zerstört.

Foto: Claudia Frey

Claudia Frey
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...

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