Ist Intelligenz ein wichtiger Faktor für unser Glück?
Und: Was ist Intelligenz eigentlich? Wie wichtig ist der IQ?
Es muss ungefähr im 6. Semester gewesen sein, vermutlich nach der Zwischenprüfung (die in etwa der heutigen Bachelor-Prüfung entspricht). Ich hatte in jenem Semester eine Pflichtveranstaltung mit dem Titel „Testdiagnostik“ belegt. Der Dozent hatte sich etwas Besonderes dafür ausgedacht: Wir mussten in jeder einzelnen Woche dieses Semesters einen IQ-Test ausfüllen: Jede/r von uns jede Woche! Und zwar jede Woche einen anderen IQ-Test.
Das war einerseits schrecklich, denn der Dozent sammelte die ausgefüllten Bögen am Ende immer ein und nahm sie zur Auswertung nach Hause mit. In der nächsten Woche bekamen wir sie dann zurück und natürlich hing immer die Drohung in der Luft, es dieses Mal „versiebt“ zu haben. Es war aber auch faszinierend und ich habe in diesem Semester sehr viel über Tests im Allgemeinen und im Besonderen über IQ-Tests gelernt:
Ein IQ hat nicht viel mit Intelligenz zu tun
Je nachdem, wie der Test konstruiert war, den wir in der jeweiligen Woche gemacht haben, fiel mein IQ anders aus.
Wirklich verrückt, aber eigentlich auch wieder nicht: Bei einem der Tests hatten die Entwickler z.B. der Mathematik und dem geometrischen Verständnis einen hohen Stellenwert gegeben. In einem anderen wurde das Kurzzeit-Gedächtnis besonders gefordert. In einem anderen ging es um musische Fähigkeiten, dann wieder um Wissen. Dann gab/gibt es auch so genannte sprachfreie Tests, damit auch Menschen, die die jeweilige Sprache nicht sprechen, beurteilt werden können. Natürlich fällt das Ergebnis aber auch bei uns MuttersprachlerInnen anders aus, wenn Sprache keine Rolle spielt.
Die Schlussfolgerung, die ich aus dieser Veranstaltung gezogen habe, ist, dass der IQ etwas anderes ist als Intelligenz. Je nachdem, wie ein IQ-Test konstruiert ist, kommt eben etwas anderes heraus. Meine Intelligenz bleibt aber doch gleich. Oder?
[bctt tweet=“Der IQ verhält sich zur Intelligenz wie eine Landkarte zur Landschaft. “ username=“claudiafrey“]
Was sagt der IQ wirklich aus?
Moderne IQ-Tests sind so konzipiert, dass sie das messen, was heute für Schul- und Studienerfolg wichtig ist. So sagt der IQ wohl wirklich Schulnoten quasi vorher – was ja noch nicht unbedingt sehr beeindruckend ist.
Aber auch das Einkommen und sogar so etwas wie Ehezufriedenheit soll mit dem IQ zusammenhängen und entsprechend vorhersehbar sein.
Interessant, oder? Umso klüger ich bin, umso mehr verdiene ich? OK, das ist ja noch einigermaßen im Bereich des Vorstellbaren, da im Bereich der „Leistung“.
Zufriedenheit hängt vom IQ ab?
Natürlich, wenn ich Intelligenz als innere Möglichkeit verstehe, flexibel auf die Gegebenheiten meines Lebens einzugehen und so viele verschiedene Blickwinkel einnehmen kann, dann kann ich mein Gegenüber vermutlich gut verstehen. So wird verständlich, dass Intelligenz z.B. mit (Ehe-) Zufriedenheit zu tun hat und vielleicht auch damit, unabhängig von den Umständen ein glückliches Leben zu führen.
Spannend, dass IQ-Tests auch diese Form der Intelligenz messen. Aber nicht nur das:
Der IQ sagt weitere „reale Fakten“ voraus, wie soziale Mobilität, Glück, allgemeine Gesundheit, Langlebigkeit, reduziertes Unfallrisiko, reduziertes Risiko von Drogenabhängigkeit und reduzierte Wahrscheinlichkeit von Gewalt und Verbrechen.
Andererseits sagen manche Autoren (z.B. Daniel Goleman), dass der IQ zwar wichtig ist – bis etwa 120. Das entspricht einem IQ im oberen Durchschnittsbereich. Der ist hilfreich, um z.B. eine gute Stelle (und damit ein gutes Gehalt und damit womöglich eine gewisse Lebenszufriedenheit) zu erreichen. Dann ist aber Schluss. Ein höherer IQ bringe, so Goleman, nicht mehr. Denn es braucht andere Qualitäten, um noch mehr zu erreichen. Qualitäten wie die Fähigkeit, gut mit Mitmenschen umgehen zu können und anderes, was er als „emotionale Intelligenz“ bezeichnet.
Ist Intelligenz erblich?
Oder kann man Intelligenz vielleicht willentlich beeinflussen?
Die Antwort auf diese Frage hat sich in der Zeit seit meinem Studium komplett verändert.
Denn: Es gibt schon lange wissenschaftliche Befunde, die nahelegen, dass es einen hohen Erblichkeitsfaktor bei der Intelligenz gibt, was ja nicht so sehr verwundert. Aber: Es gibt inzwischen eben auch etliche Befunde, die Umweltfaktoren sehr stark machen.
Wie das?
Das hat mit der „neuronalen Plastizität“ zu tun, die in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat: Neuronale Plastizität bedeutet, dass sich die Gehirnnzellen lebenslang und fortwährend erneuern und sich dabei entsprechend der Umweltbedingungen auch ständig verändern – wobei Umweltfaktoren z.B. Stress, aber auch Ernährung und anderes mehr sein können. Zu meiner Studienzeit hat man uns z.B. noch beigebracht, dass die Intelligenz mit etwa 25-30 Jahren ihren Höhepunkt erreicht und es danach nur noch abwärts geht (!). Heute weiß man, dass das kompletter Blödsinn war.
Solange wir leben, entwickelt sich unser Gehirn weiter
Und die Richtung der Entwicklung können wir durchaus beeinflussen. Und damit womöglich glücklicher werden. Natürlich ist auch das Umgekehrte wahr: Wenn wir glücklicher und zufriedener sind, kümmern wir uns im Allgemeinen besser um uns und schaffen so Faktoren, die unserer Intelligenz gut tun.
Man kann es so zusammenfassen: Intelligenz ist zwar grundsätzlich vererbbar – ist aber auch formbar und damit abhängig von Förderung und Prägung. Und wie sich das im IQ ausdrückt, ist nochmal eine ganz andere Geschichte.
Oder noch einmal anders: ich bin sehr, sehr misstrauisch, was IQs angeht und nehme diese Zahl nicht wirklich ernst. Dabei weiß ich aber, dass sie manchmal durchaus etwas aussagt.
Quellen: Sauce, B., & Matzel, L. D. (2017). The Paradox of Intelligence: Heritability and Malleability Coexist in Hidden Gene-Environment Interplay.
Barbey, A.K. (2017). Network Neuroscience Theory of Human Intelligence. Trends in Cognitive Sciences. (https://www.sciencedaily.com/releases/2017/11/171120085456.htm)
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Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...
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