In den letzten Jahren gab es eine regelrechte Inflation von neurowissenschaftlichen Erkenntnissen. Durch bildgebende Verfahren (also z.B. Computertomographie des Gehirns) konnten Dinge nachgewiesen werden, die zuvor ins Reich der Spinnerei verwiesen worden wären (oder sind).
In meinem Studium (das ich 1990 abschloss) habe ich gelernt, dass die Fähigkeit zu lernen, also die Möglichkeit der Veränderung des Gehirns ab etwa dem 30. Lebensjahr rapide abnimmt. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.
Beängstigend. Aber einleuchtend. Wer kennt sie nicht, diese eingerosteten Typen, die alles so machen, wie sie es schon immer machen, einfach weil sie es schon immer so machen. Andererseits. Gab es nicht genau solche Typen in meinem Semester? Die genau so alt waren wie ich? Und was war mit meinem Onkel Hermann, der mit 35 sein bisheriges Leben auflöste, um in Südamerika noch einmal neu zu starten?
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Neurowissenschaften haben in den letzten 20 – 30 Jahren alles durcheinander gewirbelt, was man als gegeben sah. Life long learning, heisst jetzt das Schlagwort. Bis ins hohe Alter kann jeder von und lernen und sich weiter entwickeln, wenn wir nur innerlich beweglich bleiben und dafür sorgen, dass unsere Hirnstrukturen lebendig bleiben und nicht abbauen (durch denken und lernen!).
Nun lese ich in einer aktuellen Ausgabe des Psychotherapeutenjournals einen sehr spannenden Artikel (Manfred E. Beutel: „Vom Nutzen der bisherigen neurobiologischen Forschung für die Praxis der Psychotherapie“), in dem Forschungsergebnisse zusammengetragen werden, die für die Psychotherapie spannend sind. Sehr spannend!
Das Thema ist recht kompliziert und ausufernd, deshalb rate ich jedem und jeder, die sich dafür interessiert, Fachartikel darüber zu lesen. Hier möchte ich nur zwei der für mich spannendsten Ergebnisse (deren Hintergründe z.B. in dem genannten Artikel nachgelsen werden können) benennen:
Frühkindliche Traumata, frühe Trennungen, frühe Vernachlässigung etc.führt über Veränderungsprozesse im Gehirn zu einer lebenslangen höheren Anfälligkeit für Stress und einem erhöhten Risiko für psychosomatische Erkrankungen.
Dies weiß man übrigens schon seit den 70er Jahren, aber 2007 konnte zusätzlich gezeigt werden, dass dies sogar das mütterliche Verhalten der Betroffenen der kommenden Generation gegenüber und darüber deren Gehirnentwicklung beeinflussen kann – schlimme Erfahrungen werden also sozusagen vererbt.
Sehr spannend finde ich auch, dass in mehreren Studien gezeigt werden konnte, wie durch Psychotherapie (übrigens verschiedener Fachrichtungen) Gehirnaktivitäten z.T. dauerhaft verändert wurden. So konnte man z.B. bei Sozialphobikern und Depressiven nach einer erfolgreichen Psychotherapie ähnliche Veränderungen in mehreren Gehirnarealen feststellen, wie nach einer Behandlung mit Medikamenten.
Meine Quintessenz: Wenn’s in eine Richtung funktioniert, funktioniert’s auch in die andere. Vielleicht haben wir schlimme Dinge erlebt, die sich in uns festgekrallt haben. Aber wenn wir an uns arbeiten, uns hinterfragen, überkommene Muster bearbeiten – dann wird auch das wieder Spuren und bleibende Veränderungen hinterlassen und das Leben verändern, das wir führen (können).
Es ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich.
Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin. Mehr ...
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Hallo Claudia, danke für diesen interessanten Artikel … hatte gerade eine Structogram-Analyse … auch sehr interessant und weg-weisend. Komme jetzt wieder öfters vorbei. Schönes Wochenende. Herzlichst. Petra